Dienstag, 4. Januar 2011

Das Diogenes-Prinzip

Ein jeder von uns Nerds, die wir über Stunden und in Extremfällen nonstop im Netz "herumhängen", hat sich wohl schon manches Mal mit klammheimlicher Verzweiflung gefragt, ob das noch normal ist. Wenn physische Kontakte zur Außenwelt ganz ausbleiben (der freelancende Single, von denen es mehr gibt als Ihr zu glauben wagt), wenn selbst die Netzkommunikation sich über Tage auf das Umsetzen von Anweisungen des Rechners - "laden Sie jetzt dieses Update herunter" - oder bestenfalls anonymer Auftraggeber beschränkt, wenn man sehnsüchtig wenigstens auf eine e-mail eines bekannten Menschen wartet - stimmt da noch alles? Sind wir durch das Netz verwahrlost?

Möglicherweise nicht so sehr wie wir befürchten. Einsame Berufe gibt es viele, vom Ein-Mann-Fischkutter über den Ein-Mann-Job im Maschinenraum über die Ein-Frau-Besetzung einer Krankensstation über über über... Wenn all diese Leute als Singles nach Hause gehen, wechseln sie oft ebenfalls tagelang mit niemandem ein Wort, und diese Situation ist ein alter Hut.

Der Hut ist sogar noch viel älter als uns auf Anhieb einfällt. Manchem Literaturfreund kommt vielleicht Jean-Baptiste Grenouille in den Sinn, der Protagonist aus Süskinds "Das Parfum", der sieben Jahre in einer Höhle verbrachte, scheinbar ohne Schaden zu nehmen. Der erste prominente Fall jedoch war zweifellos Diogenes (* ca.400/390 in Sinope; † 328/323 v. Chr. in Korinth), jener antike Philosoph, der sich vorsätzlich auf die Menschen nicht einlassen wollte. Gleichzeitig war er der Erste, der sich als "Weltbürger" bezeichnete. Erinnert uns Nerds das an etwas?


Es ging schon immer und es geht auch heute, nämlich ohne. Ohne kleinliches Gezänk und Gewäsch von Partner/in, Eltern, Geschwistern, Studienkollegen, Arbeitskollegen, Nachbarn, Behörden, Dienstleistern, Kunden und was auch immer. Wem das jetzt zynisch erscheint, der ist nicht ganz auf dem Holzweg. Denn man leitet "Zynismus" von der philosophischen Schule der Kyniker ab, die wiederum ihren Namen von Diogenes erhielten, den Zeitgenossen auch "Kyon", einen Hund schalten, was er flugs in einen Vorteil umzumünzen wusste. Freilich: In einer Tonne hat Diogenes wohl niemals wirklich gelebt. Da hat Seneca was verwechselt. Auch wenn uns Nerds unsere Netzburg in irgendeinem Winkel irgendeines Hauses, in welchem wir irgendwie unsichtbar hausen, manchmal so vorkommt.

21.07.17 Kaufbeuren

1 Kommentar:

  1. Und noch ein Versuch:
    Mit dem Alleinsein und an der Einsamkeit kann man wachsen. Nachdem ich meine erste Beziehung beendet hatte, sagte ein Freund zu mir: "Wenn man verliebt ist, dann wird man irgendwie immer ein besserer Mensch. Und wenn man dann wieder alleine ist, wird man irgendwie wieder man selbst."
    Wichtig ist, auch ohne Kommunikationspartner die Kommunikation weiterzuführen. Also schreiben, schreiben schreiben. Man lernt erst allein, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen, wer man selbst ist. Ich habe in einem Jahr Einsamkeit gelernt, zu was ich ohne die Hilfe anderer in der Lage bin. Man lernt also wieder, stolz auf sich selbst zu sein.

    Erst wenn man dies gelernt hat sollte man anfangen, sich wieder auf Menschen im engeren einzulassen, denn erst dann ist man wieder dazu bereit.

    nur nicht eigenbrödlerisch werden und die Sehnsucht behalten.

    vg S

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